Keine Kompromisse

Ein bisschen erinnert die Geschichte an Asterix und Obelix: Während sich die großen deutschen Nutzfahrzeughersteller bei der Elektrifizierung von großen LKWs zurückhalten, entwickeln drei mittelständische Unternehmen aus dem beschaulichen Allgäu einen E-LKW, der auch im Speditionsalltag gegen seine dieselnden Artgenossen ankommt.

Das Allgäu ist bekannt für Berge, Seen und Erholung, die der gestresste Städter hier finden kann. Von den meisten Urlaubern unentdeckt, dafür aber in Deutschland und der Welt bekannt, arbeiten hier Unternehmen an Ideen und Innovationen für die verschiedensten Branchen. Beispielsweise die drei Mittelständler Spedition Ansorge, Toni Maurer und Sensor-Technik Wiedemann (STW). Im Projekt „ELIAS“ haben sie sich zusammengefunden, um einen Schwerlast-LKW bei gleichbleibender Leistung und gewohntem Komfort vollständig zu elektrifizieren. Also wieder eine Lösung, die weit über das Allgäu hinaus Beachtung finden könnte. Früh, noch lange vor dem Diesel-Skandal und der Sperrung von Innenstädten, begannen die Firmen gemeinsam zu überlegen, wie man auf die zukünftigen Veränderungen im Schwerlastverkehr reagieren soll. Denn die Ver- und Entsorgung von Industriebetrieben oder Lebensmittelgeschäften in der Innenstadt oder am Rande von dicht besiedelten Wohngebieten erfolgt durch LKWs, die im Shuttle-Betrieb zwischen den Logistikzentren und dem Kunden pendeln. Dieser „Last-Mile“ Verkehr verläuft logischerweise oft auf kurzen Distanzen mit immer gleichen Routen. Durch die Abgas- und Lärm-Emissionen, die konventionell betriebene LKWs verursachen, werden die Bewohner der angrenzenden Wohngebiete erheblich, zum Teil sogar „grenzwertig“ belastet. Dies führt bereits heute zu behördlichen Einschränkungen des LKW-Pendelverkehrs. Die Abgas- und Lärm-Emissionen sollen damit auf ein erträgliches Maß begrenzt werden. Jedoch schränkt ein solches Vorgehen auch die Auslastung der Betriebe durch behördliche Auflagen ein. Unternehmen werden unter Umständen sogar in ihrer Expansion gebremst. Genau diese Problematik adressiert das Projekt ELIAS und bietet eine Lösung, die Anwohnern, Speditionen und Betrieben gleichermaßen weiterhilft.

Zielsetzung
Die Zielsetzung bestand darin, keine Kompromisse hinsichtlich zulässigem Gesamtgewicht, Leistung und Komfort für den Shuttle- und Kurzstreckenbetrieb einzugehen. Die Nutzung eines Standard-LKWs als Grundlage bot neben dem Erhalt des Fahrkomforts den zusätzlichen Vorteil, dass bindende Richtlinien, Gesetze und Regelungen der nicht modifizierten Systemkomponenten Bestand hatten. Sämtliche Prozesse, unter denen die neuen Systemkomponenten entwickelt wurden, sind für den gesamten Lebenszyklus an der ISO26262 Ed. 2, dem Standard für Funktionale Sicherheit im Automotive-Sektor, ausgerichtet. Zusätzliche Anforderungen und Prüfungen aus der UN/ECER10 (EMV), UN/ECER100 (Elektrisch angetriebene Fahrzeuge) sowie den gängigen Industriestandards für elektrisch angetriebene Fahrzeuge untermauern das Ziel, eine Basis für nachfolgende Fahrzeuggenerationen zu schaffen. Das Projekt wird mit Hilfe eines industriellen Forschungsvorhabens des bayrischen Wirtschaftsministeriums gefördert und in Kooperation der drei Industrie-Partner durchgeführt.

Arbeitsteilung im Projekt
Zur Validierung des Einsatzpotenzials des E-LKWs für Logistikdienstleistungen und den Nachweis der angestrebten technischen Zielkriterien durch Betriebsdatenauswertung der Feldversuche, ist die Zusammenarbeit mit der Spedition Ansorge als Pilotanwender essenziell. Damit können die definierten Zielvorgaben direkt in der Anwendung nachgewiesen werden. Diese Datenerhebung bildet eine weitere Grundlage für die Weiterentwicklung von ELIAS zum Serienfahrzeug. Die Toni Maurer GmbH ist eines der größten europäischen Unternehmen im LKW-Spezialbau und bei LKW-Modifikationen. Sie übernahm die Federführung bei der Ausarbeitung des Anforderungskataloges für den elektrischen Antrieb sowie den mechanischen Umbau und die steuerungstechnische Integration des elektrischen Antriebssystems in den vorgesehenen Standard-LKW. STW ist Spezialist für Elektrik und Elektronik für die Lösungsbereiche Digitalisierung, Elektrifizierung und Automatisierung in mobilen Arbeitsmaschinen. Das Unternehmen liefert sowohl die notwendige Antriebstechnik, als auch die elektronischen Steuerungen zur Einbindung sämtlicher Komponenten des elektrischen Antriebsstrangs an das fahrzeugübergreifende CAN-System des Basisfahrzeuges. Auch die Hard- und Software für das Batteriemanagementsystem (BMS) kommt aus dem Hause STW. Neben eigenen elektronischen Hard- und Software-Komponenten kommen dabei auch Partnerprodukte für die leistungs- und steuerungstechnische Integration des Elektro-Antriebssystems zum Einsatz.

Die Herausforderung
Die Steuerung des Antriebspaketes war die größte Herausforderung. Sie erfolgt mit einer ESX-Steuereinheit, einem Standardprodukt von STW, auf der die Applikation nach Sicherheitsstandards auf Basis der Bibliothek „eDrive Lib“, ebenfalls von STW, programmiert wurde. Die 32-Bit-Steuereinheit bringt integrierte Sicherheitsfunktionalitäten mit sowie verschiedene sicherheitskritische und unkritische Betriebsmodi. Das elektrische und verschleißfreie Nutzbremssystem kann einen Großteil der Energie in die Batterie zurückführen. Das Herzstück des modularen Antriebspakets bilden zwei 140-kW-Synchronmotoren (STW-Bezeichnung: powerMELA-C). Sie geben ihre Leistung an das bestehende Getriebe des Basisfahrzeugs ab und sorgen für das notwendige Drehmoment an der Achse. Durch die Integration des Umrichters in das Motorgehäuse entfällt die Verkabelung zwischen Umrichter und Motor. Es entsteht eine geschlossene kompakte Einheit mit einer Schutzklasse von IP6k9k. Dies und der doppelt geschützte Aufbau empfiehlt powerMELA-C-Motoren für diese mobile Anwendung. Durch die Verwendung des automatisierten Schaltgetriebes bleiben die Fahrleistung und der Fahrkomfort des Elektro-LKW ebenbürtig mit konventionell angetriebenen Fahrzeugen. Das gesamte Energiemanagement des Fahrzeugs, sowohl im Ladevorgang als auch im Betrieb, wird auf einer weiteren ESX-Sicherheitssteuerung auf Basis der Bibliothek „ePower Lib“ durchgeführt. Im Hintergrund laufen ständige Berechnungen der zu- und abgeführten Energie, so dass die Verfügbarkeit des Systems immer maximal vorhersagbar ist.

Batteriekapazität flexibel
Neu in einem derartigen Projekt ist die Skalierbarkeit der Batteriekapazität. Mit bis zu vier Batteriepacks und somit einer Gesamtkapazität von 400 kWh lässt sich der LKW flexibel an unterschiedliche Aufgabenstellungen anpassen. Für die Batteriepacks wird auf eine Batterie-Technologie mit eigenständigem, aktivem Thermomanagement der Firma Kreisel gesetzt. Kreisel wiederum stützt sich auf das „modulare Batterie-Management-System“ (mBMS) von STW. Dieser Baukasten aus Hard- und Software-Komponenten erlaubt die Realisierung eines sicheren Management-Systems für Hochvolt-Batterien. Die sensorischen Komponenten innerhalb des Speichers dienen zur Messung und Überwachung einzelner Zellspannungen und Temperaturen, der Ströme sowie der Bestimmung des Isolationszustands. Dynamik, Leistung und Effizienz der elektrischen Akkumulatoren richten sich nach dem Ladezustand (SOC), Gesundheitszustand (SOH) und der Temperatur der Batterie. Diese Sicherheitsfunktionen sind ein wesentlicher Bestandteil des eingesetzten Batteriemanagements. Die Batterien erreichen durch die integrierte Temperierung und die effiziente Verbindungstechnik maximale Reichweite, Lebensdauer und Leistung.

Batterie und LKW gleichzeitig laden
Das Aufladen des Batteriespeichers erfolgt während des Be-/Entladevorgangs des Sattelaufliegers, so dass die Ladezeiten nicht den betrieblichen Ablauf stören. ELIAS besitzt eine integrierte HV-Distribution, die eine CCS-Ladeschnittstelle sowohl für DC-Schnellladung, als auch AC-Onboard-Ladung zur Verfügung stellt. Die Energie für den Betrieb kann ELIAS auch aus regenerativen Quellen gewinnen, betriebseigenen Photovoltaik-Anlagen beispielweise. Das System ist damit so ausgelegt, dass eine Aufladung auch an allen öffentlichen Ladesäulen erfolgen kann. Wichtig für den Erfolg einer elektrischen Lösung ist nicht zuletzt der Fahrer. Er soll – außer ruhigerem und kraftvollerem Antrieb – keinen Unterschied hinsichtlich Komfort und Funktion bemerken. Die Fahrfunktionalität ist absolut vergleichbar mit konventionellen Fahrzeugen. Dazu tragen zahlreiche Fahrerassistenzsysteme wie elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP), elektronisches Bremssystem (EBS), Antiblockiersystem (ABS), Notbremsassistent (EBA), Notbremssignal (ESS), Lane Guard System (LGS) und ein digitaler Fahrtenschreiber bei. Die Funktionen der Klimaanlage mit permanenter Kühlungsfunktion und eine elektrische Heizung mit Vorheizsystem können ebenfalls genutzt werden. Bei Beschleunigung und Laufruhe sind elektrische Systeme sogar im Vorteil gegenüber herkömmlichen Dieselantrieben.

E-Power auf die Straße bringen
Die Partner haben ELIAS unter regem Interesse den Besuchern der IAA Nutzfahrzeuge 2018 in Hannover erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Darüber hinaus zeigt sich, dass sich elektromobile Anwendungen zunehmend in vielen Wirtschaftsbereichen etablieren, teilweise aufgrund des öffentlichen Interesses und entsprechender Förderung, teilweise durch eigene Erwägungen von Institutionen und Unternehmen sowie erwartete regulatorische Zwänge. Die Partner sehen hier einen steigenden Bedarf beim elektrischen Lieferverkehr und wollen zukünftig noch mehr E-Power auf die Straße bringen – auch außerhalb des Allgäus.

Relevante Produkte

Das powerMELA duo280 ist das Herzstück des ELIAS und ersetzt die Verbrennungskraftmaschine des herkömmlichen Lkws. Das Antriebs- und Energiemanagement erfolgt durch die ESX-Safety Steuerungen.

powerMELA Antriebe / Generatoren

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